Es hat mich erwischt

Burnout

Ich hatte Glück im Unglück

Es war der 12. September 2019. Meine Mutter wäre an diesem Tag 73 Jahre alt geworden. Ich hatte frei, war daheim. Den ganzen Tag hatte ich ein komisches Gefühl in mir. Ich fühlte mich leer, traurig und war antriebslos. Irgendetwas schien auf mich zuzurollen. Ich konnte mir nicht wirklich erklären, woher dieses Gefühl kam. Schob es mal zur Sicherheit auf den Geburtstag meiner Mutter, die Erklärung war irgendwie logisch für mich. Zum 1. Mal spürte ich auch den unbändigen Schmerz der Trauer. So viele Monate hatte ich einfach nur funktioniert, die Trauer anscheinend zur Seite geschoben. Sie wollte sich zeigen, sie wollte raus.

Der Termin, der mich blitzartig in die Realität holte

Ich hatte einen Termin bei meiner Psychologin, am Freitag, 13. September. Es war ein ganz normaler Kontrolltermin. Angststörungen hatte ich gar nicht mehr, es war bald 1 Jahr her, als ich mich davon befreien konnte. Aber ich war noch immer in psychotherapeutischer Behandlung. Wir redeten über Gott und die Welt. Und dann passierte es: Meine Psychologin fragte irgendetwas, ich weiss nicht mehr was es war. Ich weiss nicht mal mehr meine Antwort. Aber ich weiss noch genau, was sie mir sagte. „Sie nehmen sich am Nachmittag frei und überlegen sich über das Wochenende, was Sie tun wollen. Es gibt 3 Möglichkeiten, die man auch miteinander kombinieren kann: Pause von Arbeit, Medikamente, Klinik.

Soweit war es also mit mir

Ich brauchte einen Moment bis ich begriff, was meine Psychologin mir damit erklären wollte. Und dann hielt sie mir quasi den Spiegel vor das Gesicht. Und dann wurde mir klar, ich steuerte sang- und klanglos auf ein Burnout zu. Noch stand ich am Rand vor dem Abgrund, ich hatte noch die Möglichkeit, mich aus der Affäre zu ziehen.

Ich? Das kann mir doch nicht passieren…

Oh doch, anscheinend schon. Und ja, mir fielen die Worte ein, als wir aus den Ferien kamen: Ich fühlte mich nicht erholt. Nach 3 Wochen Powererholung war ich nicht erholt. Jetzt ergab dieser Satz eine völlig neue Bedeutung für mich.

Weinend und am Boden zerstört fuhr ich heimwärts. Und ja, ich war unendlich traurig. Wut kam dazu, auf mich, auf alles um mich herum, aber am meisten auf mich. Ich legte mich im Garten auf die Lounge und schlief, weinte, schlief, weinte. Langsam wurde mir das Ausmass bewusst. Ich kam also unerholt aus den Ferien zurück, die Arbeit war liegen geblieben, ich hatte ja auch keine Vertretung, dazu kam eine neue Lehrtochter, welche ich einarbeiten musste und ich war eben noch immer müde und kraftlos.

Hängematte

Entschluss

Ich entschied mich, zusammen mit einer lieben Familie, vorerst nicht mehr zur Arbeit zu gehen, 2 Wochen bis zu den Herbstferien. Nach den Herbstferien sollte ich dann stundenweise wieder starten, so wie es eben ging. Das war mein Plan. Nebenbei aktive Verhaltenstherapie und ich wollte einige Dinge für mich selber ändern. Wenn ich also schon die Chance bekommen habe, nicht tief abzurutschen, dann sollte ich diese Chance nutzen. Noch heute liebe ich meine Psychologin dafür. Ohne sie, wäre ich wohl in mein Verderben geschlittert. Aber nun gab es eine Vollbremsung!

2 Wochen daheim

Man kann sich das kaum vorstellen, ich eigentlich auch nicht mehr so richtig. Ich schlief 20 von 24 Stunden, jeden Tag. Allerdings war ich in den restlichen 4 Stunden des Tages super drauf. Endlich hatte ich Zeit, auf mich zu schauen. Ich konnte trauern und ich konnte das Erlebte verarbeiten. Meine Familie war in dieser Zeit meine grösste Stütze. Ich bin ihnen so unendlich dankbar für die Hilfe und das Verständnis. Es war sicher nicht immer leicht für sie.

Ferien in den Bergen

Ohhhh, wir ich mich freute. Endlich in die Berge, wandern und die wundervolle herbstliche Farbenpracht und die frische Luft geniessen. Ich wurde allerdings etwas ausgebremst. Kleine Wege, die nur ganz wenig aufwärts gingen, konnte ich nicht bewältigen. Ich kam nicht vorwärts. Ich schaffte es gerade bis zur 1. Terrasse, dort gab es dann erst einmal eine Kaffee. Für mich, die immer unterwegs ist, für die die Berge kein Hindernis sind, die überall hoch läuft, war das ein Tiefschlag. Die Realität sah eben anders aus. Ich musste es vorerst akzeptieren. Gegen Ende der Ferien wurde es aber langsam besser. Und einen Tag, bevor wir nach Hause fuhren, lief ich eine beachtliche Strecke. Es hatte irgendwie Klick gemacht in meinem Körper.

Claudia Aletschgletscher

Wieder bei der Arbeit

Bisher wurde ich also 2 Wochen von der Arbeit rausgenommen, hatte 1 Woche Ferien in den Bergen und jetzt arbeitete ich 4 Stunden am Tag an 2 Tagen. und Immer im 2-Wochenrythmus wollten wir 4 Stunden dazu nehmen, bis ich wieder auch 3 volle Tage komme. Es war eine gute Zeit. Ich lernte, mich von Arbeit zu lösen, auch mal NEIN zu sagen, ich nahm kein Problem mit nach Hause und konnte gut abschalten. Langsam gefiel ich mir in meiner „Rolle“. Ich konnte alles auf meine „Zustand“ schieben. Es war cool. Daheim hatte ich zeit für mich. Meine Kinderwaren am Gymi, mein Mann ebenfalls am Arbeiten. Ich war für mich und ich genoss diese Zeit. Ich lernte viel über mich. Begleitet wurde ich von der Psychologin, 2x in der Woche trafen wir uns. Ich ging spazieren, ich hatte Zeit zum Lesen, etwas Gutes Kochen und ich begann mit Autogenem Training, nahm einen Kurs. Eine Woche vor Weihnachten war ich wieder mein volles Pensum im Büro. Es passte für mich. Ich war zufrieden und fühlte mich sehr wohl. Ich hatte die Zeit überstanden, mich regeneriert, Frieden mit dem Tod meiner Mutter gefunden. Ich musste keine Medikamente nehmen und war auch in keiner Klinik. Ich hatte Glück, sehr viel Glück.

Es war ein lehrreiches und gutes Jahr, trotz der Höhen und Tiefen

Ich bin noch heute unendlich dankbar, dass die Psychologin mir rechtzeitig den Spiegel vor das Gesicht gehalten hat. Sie hatte erkannt, was ich nicht im Ansatz gesehen hatte oder nicht wahr haben wollte. Ich fühlte mich stärker als je zuvor und ich wusste nun, was ich wollte und was eben auch nicht. Nun hiess es aber, nicht in alte Muster zu fallen.

Danke für dieses Jahr mit allen Höhen und Tiefen!

Herz

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